Ich seh etwas, das du nicht siehst…

Viele von uns kennen es, dieses Spiel, besonders wer an seine eigene Kindheit denkt oder selbst Kinder hat. “Ich sehe etwas, das du nicht siehst, und es ist blau.” Und dann beginnt man sich nach blauen Dingen in der unmittelbaren Umgebung umzusehen und zu raten. In leicht abgeänderter Form und im Zusammenhang mit dem Bild weiter unten, hat man das vor kurzem zu mir gesagt: “Ich möchte auch das sehen, was du in deinem Job siehst.”

Die Bemerkung ist mir eine Zeit lang im Kopf geblieben und ich habe immer wieder darüber nachgedacht. Wie viel mehr ist denn das, was ich beim Fotografieren sehe? Was habe ich z. B. bei diesem Foto mehr gesehen als jene, die “nur” das geschnittene Bild betrachten? Nun, das ist leicht zu beantworten: Als endlich der Slip, der immer wieder runter rutschte, fest positioniert war und die Füße im richtigen Winkel standen, habe ich durch den Sucher geschaut. Auf was ich schaute, war Folgendes: passt die Pose noch? Ist der Slip noch dort, wo wir ihn haben wollten? Was für Blende hab ich? Wie ist die Belichtungszeit? Ich sollte überbelichten, da wir gegen Fensterlicht shooten. Mach ich das jetzt in Farbe oder Schwarz-Weiß? Ich dreh am besten die ISO auf 100, da soll ja nichts rauschen anschließend. Und so weiter…

Das sind so in etwa die Gedanken, die mir beim Fotografieren durch den Kopf gehen. Nicht wirklich erregend. Aber schauen wir nun auf das, was ungefähr fünf Zentimeter über dem oberen Bildrand beginnen würde: Melanies kurze Jeans, gefolgt von einem leichten Pulli, da ihr immer sehr schnell kalt wurde bei unseren Shootings. Also kein nackter Hintern, nein, nicht einmal ein textilfreier Oberschenkel. Sie war angezogen wie man sich eben so anzieht, wenn man an warmen Sommerabenden noch auf ein Eis in die Stadt geht.

Kopfkino

Wie im letzten Beitrag bereits angekündigt, geht es in meiner Fotografie um das, was ich Kopfkino nenne: die feine Linie zwischen sehen und nicht sehen, die der Fantasie des Betrachters ausreichend Platz bietet, um eine erweiterte Vision dessen zu ermöglichen, was im Foto eigentlich gar nicht abgebildet ist. Hierin besteht meines Erachtens der Reiz eines Körpers – nämlich genau in dem Teil, der eigentlich gar nicht zu sehen ist.

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