Back to the future: Ein Erlebnisbericht zur analogen Fotografie.

Wer den Film gesehen hat, weiß Bescheid: Marty McFly fliegt zurück in die Vergangenheit, um seine Zukunft zu retten. Und so ähnlich – jedenfalls im übertragenen Sinne – scheint es momentan Fotografen zu gehen: Sie kehren zurück zur analogen Fotografie um der Liebe zur ihrem Medium neue Inputs zu geben.

Bei mir war das nicht anders und ich habe in letzter Zeit immer öfter nach analoger Ausrüstung Ausschau gehalten. Vor ein paar Monaten erinnerte ich mich dann plötzlich an die Minox, die ich als unwissender 12-Jähriger besaß, und damit ging’s los: Der Zuschlag bei Ebay auf eine 35 GT-E, Baujahr 1988, ging an mich. Mit einer einklappbaren Linse und für weniger als 150 € passt das Teil wirklich in jede Hosentasche; perfekt für die zufällige Street- und Landschaftsfotografie. Dass man damit nicht wirklich Portraits shootet, war mir zwar entfallen, letzten Endes aber egal, denn dafür hatte ich ja die Digitale im Schrank. Nächster Schritt: Filme testen. Ilford FP4, Kodak Tmax 3200 und alles was dazwischen liegt. Mal über-, mal unterbelichtet, gepusht oder gestoppt; Foto-Walks bei Nacht und Nebel in der Stadt und hinauf in die Berge, jenseits der Schneegrenze. Die Qualität, die das kleine Teil liefert, überrascht mich auch heute noch und Filme gibt’s in der Zwischenzeit ja in fast jedem Fotoladen…

Und es wäre ja sicher alles gut geworden, wenn dann nicht Marco zufällig bei mir vorbeigekommen wäre. Bei einem Spaziergang durch die Stadt haben wir über das Mehr oder Weniger der analogen Fotografie philosophiert und uns jene emotionalen Anhängsel von der Seele gesprochen, die eine analoge Kamera mit sich bringt, wenn man damit aufgewachsen ist. Dass er mir dann seine Hasselblad zwischenzeitlich überlassen hat, war eine folgenreiche Überraschung: „Jetzt musst du liefern“, meinte er noch, als er schmunzelnd wieder ins Auto stieg. Ok, hab ich mir gedacht, das kriegen wir sicher hin: Ein paar Telefonate und ich hatte als Location das Bozner Schloss Maretsch und als Model Stephanie zur Hand. Was konnte da schon schief gehen? Nun, allerlei, wie sich herausstellen sollte…

Weniger ist mehr

Ehrlich gesagt, musste ich mir zuerst ein paar Videos auf  YouTube anschauen, um sicher zu gehen, dass ich den Film nicht verkehrt herum in die Kamera spanne; es war einfach schon zu lange her. Auf Schloss Maretsch angekommen, hatte ich mit Marcos Hasselblad ein Werkzeug aus dem Jahr 1963 in der Hand, das jeglicher Art von Elektronik entbehrte. Keine Hilfe zum Scharfstellen, kein Hinweis zu Belichtungszeit oder Blende, nix. Klappe auf, die Hasselblad vor der Hüfte gehalten, schaut man in Richtung eigener Nabel durch den Sucherschacht und fragt sich, welche Einstellungen denn so in etwa hinhauen könnten. Dabei kommt mir u. a. spontan die Frage, ob das, was ich jetzt im Sucher sehe, denn auch wirklich scharf ist. Schließlich fehlt mir ja 1 Dioptrie pro Auge. Also noch mehr Überraschungen…

Wenn ich mir diese Vorgehensweise heute durch den Kopf gehen lasse, frage ich mich, wie das Newton & Co. in den 70er Jahren gemacht haben. Klar, im Studio hat man Kontrolle, aber on Location? Haben die einfach Daumen mal Pi gemacht und drauf los geknipst? Kann ich mir irgendwie nicht wirklich vorstellen und werde deshalb wohl nochmal Newtons Bücher ein bisschen durchblättern. Mit diesem Gedanken im Kopf ging’s zurück nach Hause, vorbereitet darauf, einer großen Anzahl der Bilder von diesem Shooting ein neues Zuhause im Mülleimer zu schenken.

Revolution im Kopf

Eine analoge Kamera nach 20 Jahren digitaler Fotografie wieder in die Hand zu nehmen, beherbergt massenweise Revolutionspotenzial und man wird unumgänglich mit Grenzen konfrontiert, die man eigentlich schon lange und gerne vergessen hatte: Belichtungszeit zu lang? Schnell die ISO für 2 – 3 Bilder hochdrehen? Gibt’s nicht. Mit Blende f/2 aufs Auge scharf stellen? Versuch’s doch! Dioptrien-Korrektur direkt am Sucher? Fehlanzeige. „Stell dich doch bitte mal kurz dort ins Eck, ich mach ein Testfoto und wir schauen uns an, wie’s wirkt“? Dafür gab’s früher Polaroids. Im Shooting-Flow 20 Bilder in 5 Sekunden machen, weil gerade das Licht so geil ist und das Model endlich aus sich herausgeht? Vergiss es. Und das mal ganz abgesehen davon, dass jedes Bild 3 € kostet, wenn man Film, entwickeln und hochauflösendes Scannen summiert…

Warum?

Warum tu ich mir das an? Ich habe eine Digitale zu Hause, die auf Pupillen scharfstellen und 8 Bilder pro Sekunde machen kann. Und zwar 990 Fotos lang, bis die Speicherkarte voll ist. Ausgestattet mit einem Objektiv, das bis auf f/1.4 auf geht. Ich muss keinen Film kaufen, das entwickeln kostet mich höchstens den Strom, den der Computer frisst und das bei Zig-Millionen Pixel. Warum zum Himmel sollte ich jetzt wieder zu einer analogen Kamera greifen, die mir nichts als Grenzen setzt, und mir das fotografische Leben schwer macht? Ehrlich gesagt, arbeit ich noch an einer erschöpfenden Antwort auf diese Frage. Ich habe aber in der Zwischenzeit die entwickelten Negative gescannt und die Bilder sind einfach nur wow! In den Bildern steckt eine Atmosphäre, die kein digitaler Filter hinkriegt. Und ich meine hier Atmosphäre, und nicht Bild-Look. Marcos Hasselblad hat mich in die Knie gezwungen, weg vom digitalen „Lass-mal-schnell-probieren-ob-das-so-klappt“ -Geknipse, und zurück zum überlegten, bewussten Fotografieren. Konsequenterweise sind dadurch Bilder entstanden, die sich mir wie ein neuer fotografischer Weg eröffnen.

Ende gut, alles gut?

Es stellt sich mir immer noch die Frage, welchen Platz die analoge Fotografie in meinem Leben denn nun einnehmen wird. Auftragsfotografie analog zu shooten kommt heute ja nicht in Frage, dazu sind die Zeiten einfach zu knapp.  Wird es also ein Medium für Müßiggänger und freischaffende  Kreative bleiben? Ich weiß es noch nicht. Aber die Erfahrung mit Marcos Hasselblad hat mich nicht nur einiges gelehrt, sondern in der Zwischenzeit auch dazu geführt, dass ich mir eine analoge Mittelformat-Kamera gekauft habe. Das erste Shooting damit liegt bereits hinter mir und ich bin nach wie vor begeistert. Alles manuell, und das ist auch gut so, denn dadurch verharrt man vor jedem zu schießenden Foto auch im Gedanken darüber, ob das, was man gerade im Sucher sieht, den Druck auf den Auslöser auch wirklich wert ist. Das verlangt nicht nur vom Fotografen einiges ab, sondern muss auch auf Verständnis bei den Models treffen, die es heute ja gewöhnt sind, dass alles schnell und digital recht unspektakulär über die Bühne läuft. Wer deshalb das analoge Mittelformat nutzen will um zu entschleunigen, tut gut daran, dies beim Shooting auch zu kommunizieren. Ich persönlich werde in der Zwischenzeit weiter in die Vergangenheit schauen, um in die Zukunft sehen zu können.

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